Rund um die Jahrtausendwende war die Scheinselbstständigkeit in aller Munde, weil sich die damalige Bundesregierung ihrer Bekämpfung verschrieben hatte. Tatsächlich sind 2003 einige Gesetze erlassen worden, die eine beruhigende Wirkung hatten. Die Scheinselbstständigkeit ist aus dem breiten Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Obsolet ist das Thema aber damit keineswegs – insbesondere durch eine seit 2017 geltende Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). War es in früheren Tagen zumeist kriminelle Energie, die zur Scheinselbstständigkeit führte, ist es mittlerweile oft ein Versehen aus Unwissenheit.

Scheinselbstständigkeit © Fotolia/FotolEdhar

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Scheinselbstständigkeit: Eine Definition

Da es sich um ein komplexes Thema handelt, gibt es viele relativ komplizierte Definitionen von Scheinselbstständigkeit. Vereinfacht kann man sagen: Scheinselbstständig ist, wer angibt, freiberuflich zu arbeiten, aber faktisch Arbeitnehmer seines Auftraggebers ist. Wenn Sie freie Mitarbeiter beschäftigen, spielt es rechtlich keine Rolle, wie Ihre vertraglichen Vereinbarungen aussehen – die Behörde entscheidet, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Die Deutsche Rentenversicherung ist das dafür zuständige Amt. Sie hat eine Clearingstelle eingerichtet, bei der Arbeitgeber und Freiberufler freiwillig ihre Beziehung überprüfen lassen können, um Scheinselbstständigkeit auszuschließen.

Scheinselbstständigkeit liegt immer dann vor, wenn mindestens drei der fünf folgenden Kriterien erfüllt sind:

  • Der Beschäftigte ist über einen längeren Zeitraum fast ausschließlich für einen Auftraggeber tätig (mindestens 5/6 seiner Arbeitszeit).
  • Beim vermeintlich Selbstständigen ist keinerlei unternehmerisches Handeln zu erkennen. Unternehmerisches Handeln betrifft jede auf das Erzielen von Gewinn ausgerichtete Aktivität sowie die Buchführung.
  • Der freie Mitarbeiter übt im Prinzip die identische Tätigkeit aus, die er zuvor als Arbeitnehmer beim Auftraggeber verrichtet hat. Dies wird auch dann negativ bewertet, wenn zwischen dem Ende der Mitarbeit als Arbeitnehmer und dem Beginn der selbstständigen Tätigkeit eine jahrelange Pause lag.
  • Tätigkeiten, die der vermeintlich freie Mitarbeiter verrichtet, lässt der Arbeitgeber gewöhnlich von Arbeitnehmern erledigen. Dies gilt auch für „im wesentlichen gleiche Tätigkeiten“. Beschäftigt ein Logistikunternehmen 19 festangestellte Fahrer und einen freiberuflichen, ist dieses Kriterium für Scheinselbstständigkeit beispielsweise erfüllt.
  • Der vermeintlich Selbstständige ist strukturell fest in das Unternehmen eingebunden, hat keinen eigenen Arbeitsplatz getrennt vom Auftraggeber. Zudem ist der Auftraggeber weisungsberechtigt.

Seit 2017 wesentlich mehr Scheinselbstständige

Mit der am 1.4.2017 in Kraft getretenen Novelle des AÜG erlebte das deutsche Arbeitsrecht eine Premiere: Zum ersten Mal in der Geschichte ist der Begriff des Arbeitnehmers definiert. § 611a Abs. 1 BGB n.F. musste aufgrund der AÜG-Novelle überarbeitet werden und definiert einen Arbeitnehmer wie folgt: durch einen privatrechtlich geschlossenen Vertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.

Bislang deckte diese Definition auch einige freie Beschäftigungsverhältnisse ab, weil beispielsweise die Sozialversicherungspflicht nicht erwähnt wird. Juristisch wird davon gesprochen, dass durch die Novelle und die damit einhergehende Definition „die Arbeitnehmerüberlassung auf Vorrat“ nicht länger möglich ist. Vereinfacht gesagt: Ein Selbstständiger kann nicht länger ausschließlich für einen Auftraggeber tätig und wirtschaftlich von ihm abhängig sein.

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Fatale Folgen der Scheinselbstständigkeit für Unternehmen

Der Gesetzgeber schiebt den „schwarzen Peter“ den Unternehmen zu, wenn Scheinselbstständigkeit festgestellt wird. Er legt die Annahme zugrunde, dass die Firmen dazu angestiftet haben, um die Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Das Unternehmen haftet deshalb gleich in mehrfacher Hinsicht voll. Zum einen muss es seine eigenen Sozialbeiträge in vollem Umfang nachzahlen und zum anderen muss das Unternehmen aber auch praktisch alle Sozialbeiträge des eigentlichen Arbeitnehmers nachzahlen. Sie als Arbeitgeber dürfen lediglich in den kommenden drei Monaten Ausgleichspfändungen vornehmen und diese auch nur bis zur Pfändungsfreigrenze. Hierfür müssen Sie den Scheinselbstständigen allerdings einstellen. Dies kann er rechtlich zudem verlangen: Da er faktisch als Arbeitnehmer für Sie gearbeitet hat, darf er dies auch in Zukunft.

Es existiert nur ein einziges Szenario, in dem Sie gerichtlich vom Arbeitnehmer seine Sozialversicherungsanteile vollständig einfordern können: wenn dieser seine Informationspflichten verletzt hat. Dies ist allerdings ausgesprochen schwer zu beweisen. Sie müssen nachweisen, dass der faktische Arbeitnehmer wusste, dass er sich in Scheinselbstständigkeit befand und diesen Umstand Ihnen gegenüber wissentlich verschleiert hat. Es gibt gerade in kleinen Unternehmen einige Fälle, wo dies tatsächlich der Fall ist: Der vermeintlich Selbstständige fürchtet beispielsweise, dass der Arbeitgeber ihn entlässt, wenn er die Wahrheit offenbart und schweigt deshalb. Sie bekommen aber auch in einem solchen Fall Ihre Sozialbeiträge nicht zurück. Schließlich stehen Sie ebenfalls in der Pflicht, die Beschäftigungsverhältnisse Ihrer freien Mitarbeiter zu überprüfen.

Scheinselbstständigkeit vermeiden: einige Lösungen

Laut der gesetzlichen Definition von Scheinselbstständigkeit können nur natürliche Personen scheinselbstständig sein. Es gibt deshalb rechtlich einen sehr einfachen Trick, wie Scheinselbstständigkeit juristisch ausgeschlossen werden kann: Der Selbstständige gründet eine GmbH, und Sie machen einen Vertrag mit der GmbH. Allerdings ist zu beachten, dass das Amt rückwirkend trotzdem noch Scheinselbstständigkeit feststellen kann. Sie sind mit diesem Kunstgriff nur für die Zukunft gewappnet.

Eine andere Möglichkeit, die seit 2017 im Trend ist, sind Zeitverträge. Viele Selbstständige werden mit solchen Kontrakten ausgestattet, weil der Aspekt der Selbstständigkeit damit wegfällt. Allerdings werden Sie mit diesem Vorschlag vermutlich nicht den Geschmack vieler tatsächlich selbstständigen Mitarbeiter treffen, die noch für andere Auftraggeber tätig sind.

Besteht der Verdacht der Scheinselbstständigkeit und wollen Sie nicht zur Clearingstelle, können Sie den freien Mitarbeiter um eine Kundenliste bitten, um sicherzustellen, dass die 5/6-Regel nicht gebrochen wird. Wird diese eingehalten, entfallen im Prinzip zwangsläufig die weiteren Kriterien.

Nachlaufend können auch noch Forderungen gestellt werden

Wenn Sie das Arbeitsverhältnis zu einem freien Mitarbeiter beenden, der faktisch scheinselbstständig war, drohen weiterhin Konsequenzen. Die Sozialversicherungsbeiträge und die Lohnsteuer sind nachzuzahlen. Der ehemalige Beschäftigte kann zudem für die zu viel gezahlte Einkommenssteuer Ersatz von Ihnen verlangen. Überdies kann er nach wie vor seine Einstellung fordern.