Der Mindestlohn wurde in Deutschland im Jahr 2015 eingeführt, um die Rechte der Arbeitnehmer zu stärken und Dumpinglöhnen einen Riegel vorzuschieben. Doch auch nach der Erhöhung im Jahr 2017 von 8,50 Euro auf 8,84 Euro brutto bleiben für viele Unternehmer Fragen offen. Wem muss ich Mindestlohn zahlen? Schadet das Lohnmodell der Wirtschaft und vernichtet Arbeitsplätze? Haben Praktikanten und Azubis Anspruch auf die Mindestvergütung? Wir klären die häufigsten Irrtümer auf.
Der Mindestlohn ist nicht wirtschaftlich
Mit der Einführung des Mindestlohnes waren viele Arbeitgeber verunsichert. Würde die neue Regelung nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) das Aus für ihren Betrieb bedeuten? Der Gesetzgeber sagte Nein und begründete seine Aussage damit, dass jede Tätigkeit dem Unternehmen mehr als den Mindestsatz einbringen würde. Aber hat sich dieses Modell bewährt?
Übersicht: Für wen gilt der Mindestlohn?
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Ein Blick auf die Nachbarländer hätte genügt, um diesen Vorbehalten gegenüber dem neuen Gesetz vorzubeugen. In 21 der 28 Mitgliedsstaaten innerhalb der EU galt bereits zur Einführung der Untergrenze ein Mindestlohn. In Frankreich liegt dieser aktuell bei 9,88 Euro brutto, also rund einen Euro höher als in Deutschland. Die Lebenshaltungskosten liegen jedoch nur knapp über dem deutschen Niveau. Im Zeitraum seit Einführung des Mindestlohns in Deutschland sanken die Arbeitslosenzahlen von 4,8 auf 3,6 Prozent bundesweit. Auch diese Zahl macht deutlich: Niemand wurde wegen der möglichen Lohnanhebung gekündigt.
Eine Art der Mindestentlohnung galt auch vor der Einführung der Gesetzesregelung 2015 bereits: Der tariflich vereinbarte Branchenmindestlohn. Die Tarifvereinbarungen werden jährlich leicht angehoben und liegen in den meisten teilnehmenden Branchen schon seit Jahren über 10 Euro pro Arbeitsstunde.
Arbeitnehmer könnten auch unter Mindestlohn gut leben
Der Mindestlohn sollte durch sein alle zwei Jahre steigendes Niveau garantieren, dass Arbeitnehmer auf lange Sicht abgesichert sein würden. Parteien wie Die Linke fordern seit Einführung jedoch, der Lohn müsse mindestens um ein Drittel angehoben werden. Nur so seien ein Mindestmaß an Teilhabe und eine Grundrente garantiert. Arbeitgeber sehen das häufig anders und versuchen, die Regelung zu umgehen. Wer behält recht?
Richtig ist, dass ein Bruttolohn von aktuell 1.414 Euro bei einer rechnerischen 40-Stunden-Woche für Hilfstätigkeiten wie eine angemessene Entlohnung erscheint. Netto bleiben einem alleinstehenden Erwerbstätigen in Berlin davon allerdings nur rund 1.136 Euro zum Leben. Das ist, je nach Wohngeldzuschuss, nicht deutlich mehr als die Grundversorgung nach ALG II. Von diesem Betrag würde der Arbeitnehmer 131 Euro im Monat in die Rentenversicherung abführen. Ein heute 30-Jähriger würde, wenn er diese Stelle bis zu seinem 63. Lebensjahr behält, lediglich eine Rente von 510 Euro beziehen und damit zum Sozialfall werden. Doch eine solch stringente Arbeitsbiografie ist eher utopisch. Die wenigsten Arbeitnehmer können lückenlose Rentenzahlungen vorweisen.
Je nach Lebenssituation sorgt die Mindestentlohnung bereits heute dafür, dass in Vollzeit werktätige Menschen „aufstocken“ müssen durch Sozialleistungen, wenn beispielsweise ein oder mehrere Kinder im Haushalt leben. Die Forderung der Partei Die Linke nach einem Mindestlohn von 12 Euro brutto pro Arbeitsstunde würde ebenfalls nur dann eine Rente über der Armutsgrenze ergeben, wenn die Biografie lückenlos bleibt. Als Fazit lässt sich sagen: Wer den Mindestlohn durch legale Mittel umgeht, um für das Unternehmen Kosten einzusparen, verdammt seine Mitarbeiter zu einem Leben unterhalb der deutschen Armutsgrenze.
Der Mindestlohn gilt für alle Anstellungen
Eine der häufigsten Fehlerquellen ist die Frage, für welche Art von Beschäftigung der Mindestlohn tatsächlich gilt. Sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmen sind sich häufig im Unklaren darüber, ob Sie die 8,84 Euro pro Stunde fordern können bzw. zahlen müssen. Die Ausnahmen sind über das MiLoG geregelt. Müssen Zeitarbeiter und Minijobber voll entlohnt werden?
Die einfache Antwort lautet: Ja. In der Praxis allerdings gibt es durchaus Gruppen, die mit einer Einschränkung ihrer Lohnansprüche rechnen müssen.
Der Mindestlohn gilt in jedem Fall auch für:
- Volljährige Minijobber bis 450 Euro im Monat. Sie dürfen maximal 50,9 Stunden pro Monat beschäftigt sein. Bei Freistellung von der Versicherungspflicht wird das Brutto als Netto ausgezahlt.
- Logistikangestellte wie Lkw- und Lieferdienstfahrer, aber auch Transportunternehmer. Alle sozialversicherten Angestellten haben ein Anrecht auf den Mindestsatz. Das gilt auch für Lade-, Stand- und Wartezeiten innerhalb der Arbeitszeit.
- Ostdeutsche. Die Annahme, der Lohn könne im Osten durch niedrige Lebenskosten gedrückt werden, ist falsch.
- Ausländer und EU-Ausländer. Ist ein Nicht-Deutscher oder EU-Bürger in Deutschland angestellt, gilt für ihn der in Deutschland gesetzlich verankerte Mindestlohn.
- Aushilfen, Hilfsarbeiter und kurzfristig Beschäftigte. Jeder Angestellte hat Anrecht auf die 8,84 Euro pro Stunde, unabhängig von der Qualifikation für den Job.
- Kirchliche Angestellte. Die kirchlichen Organisationen haben keine rechtliche Handhabe, die Untergrenze zu umgehen.
- Angestellte in Vereinen. Achtung, hier gilt die Lohnuntergrenze nur für Angestellte im Vollamt, nicht aber für Ehrenamtliche. Das Ehrenamt ist in der Regel über eine Vergütung geregelt und hinsichtlich der Stundenzahl begrenzt.
- Zeitarbeiter in Vermittlung. Allerdings steht ihnen mehr zu, nämlich die Mindestentlohnung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Sie beträgt 9,49 Euro im Westen des Landes und 9,27 Euro im Osten, einschließlich Berlin.
Ausgenommen von der Pflicht sind Jugendliche, Praktikanten, Tarifarbeiter und natürlich Selbstständige. Unternehmer unter der Mindestlohngrenze erwirtschaften jedoch in der Regel kein Einkommen, das auf lange Sicht als wirtschaftlich bewertet wird. Arbeitgeber, die Angestellte unter 18 Jahren beschäftigen, sollten die Einhaltung der Untergrenze aus Fairnessgründen zumindest in Betracht ziehen. Von der Mindestlohngrenze profitiert schließlich auch die Arbeitsmoral der Mitarbeiter.
In der Gastronomie leben Angestellte von Boni und Trinkgeldern
In der Gastronomie scheinen andere Regeln zu gelten. Wer als Kellner aushilft, oder in einer Bar jobbt, soll häufig eine Bezahlung unterhalb der Mindestlohngrenze akzeptieren und von Trinkgeldern leben. Ähnlich halten es auch Lieferdienste oft. Aber gibt es dafür eine rechtliche Handhabe?
Jein. Richtig ist, dass viele Gastwirte es so handhaben. Fraglich allerdings, ob sie damit nicht geltendes Recht verletzen. Der Mindestlohn muss tatsächlich auch in der Gastronomie gezahlt werden, jedoch nach Abgleich der Arbeitszeitnachweise. Angestellte in Restaurants, Cafés, Bars und bei Lieferketten sollten daher genau prüfen, wie ihre Arbeitszeiten und Arbeitsnachweise geführt werden und ob die Stundenzahl korrekt abgerechnet wird. Bei geringerer Stundenzahl fällt der Lohn natürlich auch niedriger aus. Trinkgelder hingegen können nie durch den Arbeitgeber als fester Bestandteil der Entlohnung abgerechnet werden.
Wo Mindestlohn gilt, darf nicht mehr gezahlt werden
Ein beliebter Denkfehler im Umgang mit dem Mindestlohn ist es, den Wortbestandteil „Mindest“ zu ignorieren. Es handelt sich hierbei um eine ganz klare Untergrenze. Auch Hilfsarbeiter, neue Mitarbeiter, Aushilfen, Zeitarbeiter usw. haben in den meisten Fällen einen höheren Lohn verdient. Die Gehaltsverhandlungen orientieren sich also an diesem Mindestwert und sind nach oben stets offen.
Entscheiden Sie sich aufgrund der Qualifikationen, des Engagements und der Zufriedenheit mit dem Mitarbeiter ruhig von Zeit zu Zeit für eine Lohnerhöhung, die den gesetzlichen Mindestwert deutlich übersteigt. Arbeitsklima, Effizienz und Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen werden so spürbar verbessert. Und ganz nebenbei ist es auch einfach fairer für alle Beteiligten.
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